DER WUTLING IN MIR – Mama ist auch nur ein Mensch

27. Oktober 2017 , In: Allgemein, Meike, ZweiBlicke , With: One Comment
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Der Tag ging heut einfach schon beschissen los.

In der Nacht konnte ich mal wieder nicht schlafen, dafür umso besser als so langsam die Morgendämmerung einbrach und in dem Moment als der Wecker klingelte, hätte ich meine Seele verkauft, dafür, dass jemand kommt und sagt, bleib liegen, ich kümmere mich um alles. Diesen Jemand gibt es aber halt nicht und so schlich ich nach gerade mal gefühlten 30 Minuten Schlaf ins Bad, nur um festzustellen, dass ich über Nacht nicht hübscher geworden bin. Es ist ein Elend, aber eben nicht zu ändern.

Natürlich war Matheo war heute morgen schon direkt nach dem Aufstehen dann so von der Muse geküsst, dass es ewig dauerte, ihn zu irgendwas zu bewegen. Irgendwas ist sowas wie Hose und Pulli anzuziehen, sein Müsli zu essen, sich die Zähne zu putzen, die Haare zu kämmen, Schuhe und Jacke überwerfen und mit mir gemeinsam das Haus zu verlassen. Also die ganz banalen Dinge. Die Basics.

Nix Besonderes. Ich sage nicht, Matheo, schreib noch schnell ´nen Welthit bevor wir zur Schule fahren. Da könnt ich doch verstehen, dass er ein bisschen länger braucht.

Es wird ja auch immer diskutiert, über alles. Die falsche Zahnpasta, die Schuhe will er nicht, das Shirt zwickt und ich muss das blöde Etikett rausschneiden. Aus einem bekackten Shirt, dass er schon seit sechs Monaten hat. Aber nein, heute, da zwickt es. Und die Uhr tickt und der Wutling in mir, den ich vehement bekämpfe, schon immer (ich bin nun mal kein ruhiger und besonnener Charakter), ja, der kommt so ganz langsam aus der Versenkung gekrochen. Ich merke es daran, dass mir heiß und kribbelig wird und meine Hände fangen an zu schwitzen. Ich versuche aber diszipliniert und ruhig zu bleiben und rede mir selber gut zu und denke mir, hey, es ist noch früh am Morgen, der Morgen macht den Tag, ach, ihr wisst schon..

Natürlich verließen wir dann heute aus eben genannten diversen Gründen zehn Minuten nach der von mir geplanten Abfahrtszeit das Haus, was mich immens in Stress brachte und schon während der Fahrt zur Schule schrie ich mindestens drei Autofahrer so laut an, dass mein Kopf knallrot wurde. Nach einer rasanten Tour kam ich schließlich nach ca. 7 Minuten in zweiter Reihe quietschend zum Stehen. Schnell scheuchte ich das vor sich hin lahmende Kind aus der Karre und rannte mit ihm zwei Stockwerke nach oben, weil er so unfassbar viel „Gepäck“ hatte, dass ich aus Sorge er könne in seinem aktuellen lethargischen Zustand beim Treppensteigen das Gleichgewicht verlieren, gleich wieder rückwärts fallen und sich das Kreuz brechen. Also hetzte ich mit ihm nach oben und genau in dem Moment als ich mich nach einer Umarmung und einem Bussi aus dem Staub machen will, eröffnete mir der Sohn, dass er total Zahnschmerzen hatte. Super. Und ich musste ins Büro. Nach einigem Hin und Her entschied er sich, trotzdem in die Schule zu gehen. Puh.

Samt meinem superschlechten Gewissen, was für eine schrecklich Mutter ich doch war, dass ich mein leidendes Kind in die Schule schickte, raste ich wieder nach unten und fieberte nach einer Lösung und die hieß wie eigentlich immer: OMA. Ich weiß wirklich nicht, was ich ohne sie machen würde, denn sie ist mein Plan B. Sie versprach mir da zu sein, falls Matheo tatsächlich früher abgeholt werden müsste.

Im Auto fing ich dann an darüber nachzudenken, wie kacke unsere Welt doch ist. Wie ungerecht und gemein und, dass Mütter einfach die ärmsten Schweine sind. Und Kinder auch. Das System ist zum Kotzen, das ganze und das Schulsystem allem voran. Ich will das nicht. Ich will nicht nachmittags ein schon jetzt burn-out gebrandmarktes Kind vom Hort abholen. Wie war das früher denk ich mir? Anders! Das weiß ich ganz genau. Ich war dabei. Und was machen sie aus unseren Kindern heute? Zombies, uniformierte Soldaten, gleichgeschaltete Seelen.

Anstatt neue Wege zu gehen, latschen unsere Bildungsexperten auf abgegrasten Pfaden und wundern sich, dass die Welt verrückt spielt. Je länger ich darüber nachdachte, desto wütender wurde ich und ich muss euch nicht sagen, dass das zur Folge hatte, dass ich auf dem Weg ins Büro gleich die nächsten drei Schleicher anschrie. Der Tag im Büro war jetzt auch kein Grund zum Champagner-Öffnen, es war stressig, die Zeit zu knapp, ich hab nicht alles geschafft, was ich wollte, weil sich eben nicht alles planen lässt, aber ich freute mich auf das Danach.

Das DANACH sollte so aussehen: meine Schwägerin und ich gehen zusammen mit Matheo Klamotten kaufen. Einen Anzug will der Bub haben und Tanti wollte ihn spendieren. Mega. Danach sollte es noch in die Lego-Abteilung gehen, denn der Sohn hatte sich ein Jahr lang Sterne durch gute Taten verdient und ich hatte ihm versprochen, dass es bei 100 Sternen eine Belohnung geben würde. Und heute sollte es soweit sein.

Tatsächlich holte ich heute vom Hort ein motziges Kind ab, eins das von oben bis unten mit Kugelschreiber vollgemalt war, sich mit einem Jungen geprügelt hatte und sofort losheulte nur, weil ich ihm sagte, dass ich das nicht so toll fand. Die gesamte Fahrt zog er ein langes Gesicht und war so nölig, dass ich ihn am liebsten an der nächsten Ecke ausgesetzt hätte.

Die Hoffnung, dass das im Einkaufszentrum besser werden wurde, zerschlug sich in dem Moment, als wir gemeinsam mit meiner Schwägerin vor den Klamotten standen und er lauthals losjammerte, dass Shopping das allerletzte sei. Shopping ist kacke und nur was für Mädchen und überhaupt will er das nicht, denn er will lieber sein Lego kaufen, schließlich hätte er sich das verdient und es sei unrecht, dass wir zuerst Klamotten kaufen. (Gerade finde ich, dass du ein sehr unsympathisches Kind bist. Und auch noch meins. )

Und das Gedankenkarusell dreht wieder seine Runden. Ich habe in der Erziehung versagt, ich bin eine kacke Mutter. Eine, die ihr Zahnweh-Kind in die Schule schickt und Leute anschreit und Zeitpläne nicht einhält und sein Kind nicht erziehen kann. Alle anderen kriegen das viel besser hin, nur ich nicht. (Selbstmitleid ist die liebste Nahrung meines Wutlings). Und der Wutling poltert und nervt und will raus und ich unterdrücke ihn, weil sich das ja so gehört, dabei will ich am liebsten schreien.

Und plötzlich nahm alles seinen Lauf…

Angefangen damit, dass Matheo partout nicht einsehen wollte, dass man das Hemd erst aufknöpfen muss, bevor man es anzieht, weil man sonst nämlich verknotet in einem überhitzten Laden steht, was wir dann auch taten, bis hin zu dem Moment, wo er sich in der neuen Hose einfach auf den dreckigen Boden setzte, war einfach alles dabei, was mich nach und nach zur Weißglut brachte. Er meckerte unaufhörlich über die peinlichen Schuhe, das kratzende Oberteil, die doofe Hose, die noch doofere Hose und das alles inmitten einer winzigen Umkleidekabine bei grellstem Licht und gruseligstem Duft.

Der Schweiß lief mir in Strömen. Während Tanti ganz ruhig blieb, tat sich in mir ein Sturm auf, ich merkte, dass heute der Tag war, der mit dem berühmten einen Tropfen und dem Fass. Jedes Mahnen, jeder böse Blick meinerseits prallte an Matheo ab und animierte ihn dazu, noch nörgeliger zu werden. So ist er meistens, wenn wir nicht allein sind, sondern er angeben will. So kam es dann, dass sich die Anprobe, die eigentlich nur 15 Minuten hätte dauern müssen, auf quälende, erschöpfende 40 Minuten hinzog.

Besser machte die Sache nicht, dass ich in diesem Licht heute so zum Davonlaufen aussah, dass alles zu spät war. Dafür konnte Matheo nix, auch nicht dafür, dass ich sein Motzen heute kaum ertragen konnte, und an einem normalen Tag wäre bestimmt alles anders gekommen. Heute war aber eben kein normaler Tag.

Meine anhaltende Unzufriedenheit mit der Allgemeinsituation, dem blöden Wetter, dem wenigen Schlaf, dem Älterwerden, den Ängsten und Sorgen, die man eben so hat, summierten sich heute innerhalb von Stunden zu einer unrealen Katastrophe in meinem Inneren. „Das Drama im Kopf nicht nähren“,  brabbelte ich mantramäßig vor mich hin.

Als wir endlich wieder im Auto saßen, dachte ich, dass das Schlimmste überstanden wäre, doch als der  Sohn mit dem neuen Lego in der Hand, alsbald wieder was zu beklagen hatte, so was in Richtung, jetzt hätte er doch lieber das andere gehabt und wieder sein Trotzgesicht aufsetzte, platzte mir endgültig der Kragen. Der Wutling in mir fuhr aus meiner Haut.

Heraus kam ein Süßigkeitenverbot, Playstationverbot, Fernsehverbot, seine Drohung auszuziehen, mein Angebot, ihm beim Packen zu helfen, eine heulende Mama, ein heulendes Kind und jede Menge schlechtes Gewissen, weil ich ihn angebrüllt hatte und mir nix besseres eingefallen war als dumme Verbote, die nix besser machen. Es folgte eine ebenso tränenreiche Versöhnung und ein Versuch, die Sache anders zu lösen.

Wir machten ein Rollenspiel, er die Mama, ich das Kind, und wir spielten die letzten Stunden nach. Ich kann nicht erklären warum oder wie, aber es war unglaublich, wie es die Situation auflöste. Matheo verstand sofort, was ich gefühlt hatte und mir ging es genauso. Ich hatte meinen Stress und meine negativen Gedanken auf ihn übertragen, sodass wir uns gegenseitig hochschaukelten, im Einkaufszentrum war es nicht möglich, dem Moment wirklich zu entkommen und am Ende lagen meine Nerven blitzblank. Gemeinsam haben wir beschlossen, dass Wutling unser neues Codewort für „Achtung, gleich platzt mir der Kragen“ ist und wenn einer von uns beiden es sagt, dann gibt es ein Time-Out. Ob´s klappt, werden wir sehen;-)

Mamas sind halt auch nur Menschen, mit Wutlingen im Bauch, die ab und zu rausplatzen. Niemand kann das immer verhindern, wichtig ist, wie man damit umgeht, wenn´s passiert ist. Ich arbeite daran.

Kennt Ihr solche Situationen auch?

Mein Wutling sah heute übrigens so aus (ich hab ihn für Matheo gezeichnet):

 

 

Bildcredit: gratisography.com

 

  1. Avatar
    • EinealteBekannte
    • 9. November 2017
    Antworten

    Maike du bist der Hammer! Hammer Text, würde ich über mein Leben schreiben dann könnte ich das 1:1 übernehmen. hoffe dir gehts gut Liebe Grüße

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Tina und Meike

Als Mütter wissen wir: Den geraden Weg gibt es nicht! Getreu unserem Motto „Wenn´s durch den Haupteingang nicht geht, dann nehmen wir eben die Seitentür“ suchen wir nach (technischen) Gadgets und anderen erzieherischen Überlebenshilfen und nehmen Euch ganz nebenbei mit auf eine humorvolle Reise durch unser Seelenleben. Erziehungsvorsprung durch (Überlebens-)Technik? Lasst es uns herausfinden!

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