Postnatale Depression: Wo bitte geht´s zum Mutterglück?

18. Oktober 2015 , In: Meike, ZweiBlicke , With: 3 Comments
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Eines vorweg: Unser Sohn ist ein absolutes Wunschkind!
Mein Mann und ich waren schon über dreißig als wir uns kennenlernten, wir hatten einiges erlebt und waren wirklich glücklich zusammen.

Als wir erfuhren, dass es geklappt hatte, dass wir Eltern werden würden, waren wir ausser uns vor Freude und machten uns sofort daran, dem neuen Erdenbürger ein liebevolles Nest zu bereiten.

Weil unsere Altbauwohnung ein Zimmer zu wenig hatte, zauberten wir aus unserer Abstellkammer das schnuckeligste Kinderzimmer.
Wir kauften wie die Verrückten allerlei Sachen, von denen wir gelesen hatten, dass es Babys brauchen.
Wir lasen Bücher über Kindererziehung, informierten uns über alles, was es zum Thema Kinderhaben gab.
Wir kauften Namensbücher und zofften uns liebevoll um den jeweils favorisierten Vornamen.
Wir lachten viel, hatten jede Menge Spaß und konnten es kaum abwarten, dass der Kleine endlich da sein würde.
Fröhlich besuchte ich Schwangerschafts-Yoga Kurse, ernährte mich absolut gesund, fühlte mich einfach rundum pudelwohl.

Ich war mir sicher, das Muttersein würde ich auf einer Arschbacke absitzen – im Schlaf. Pah!

Ich hatte ganz klare Vorstellungen wie das alles in Zukunft laufen würde. Nämlich großartig.

Und dann kam alles anders.

Ich kann kaum beschreiben, wie schrecklich der Moment war, als ich zum ersten Mal bemerkte, dass ich DAS nicht fühlte, worüber ich so viel gelesen hatte. MUTTERGLÜCK.
Ich liebte meinen Sohn, keine Frage, wollte nichts mehr, als dass es ihm gut ging, konnte an manchen Tagen kaum aufhören ihn anzustarren, weil er so süß war und dennoch stellte sich das nicht ein, worauf ich mich am meisten gefreut hatte.

Ich fühlte mich keineswegs angekommen, kein bisschen zufrieden und schon gar nicht glücklich!

Stattdessen war ich gehetzt, ständig unter Druck und hilflos.
Wollte mein Leben zurück.
Schämte mich, dass ich so dachte, konnte aber nichts daran ändern, dass es so war.

Von heute auf morgen hatte man mir ein Bündel Mensch in die Hände gedrückt, das meine volle Aufmerksamkeit wollte und sie wenn nötig durch unerträgliches Schreien einforderte.
Doch das Menschlein war mir auf eine seltsame Weise fremd. Wie konnte es mir fremd sein?

Ich hatte die gesamte Schwangerschaft doch nichts anderes getan als mich Tag und Nacht mit ihm zu unterhalten, ihm meine Lieblingslieder vorzuspielen, mich auf ihn zu freuen.
Ich liebte den Kleinen vom ersten Moment an mehr als alles andere.

Doch als er da war, war alles ganz anders als ich es erwartet hatte.
Nichts war leicht, nichts mehr unbeschwert.
Meine Seele war zu einem Klumpen Angst verformt.
Diese Unsicherheit machte mich zu einem leichten Opfer.

Kritik und war sie noch so klein, traf mich tief im Herzen und löste nur aus, dass ich mich noch schlechter fühlte als ohnehin schon. Als die schlechteste Mutter der Welt.
Am Ende wusste ich gar nicht mehr was richtig war. Mein Bauchgefühl hatte mich verlassen!

Ich fühlte mich leer. Unzulänglich. Völlig daneben.

Mit eiserner Disziplin kämpfte ich jeden Tag weiter – ohne eigentlich zu wissen gegen was.
Spielte so gut es ging meine Rolle. Wollte mir selbst und allen anderen beweisen, dass ich alles im Griff hatte. Dass ich die Zeit meines Lebens hatte. Keiner, der es nicht erlebt hat, versteht die innere Zerrissenheit, die diese Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit auslöst.

Ab und zu bröckelte meine Maske und ich war nicht mehr in der Lage zu verbergen, wie schlecht es mir wirklich ging.

„Ach komm, das ist der Schlafmangel, das viele Schreien, Deine Nerven. Das geht allen Müttern so!“, bekam ich dann zu hören.
„Reiß Dich zusammen, ich versteh gar nicht, warum Du so unzufrieden bist?!“, hörte ich von anderer Seite.

Ich doch auch nicht!

Über Monate hinweg machte ich mir Vorwürfe, quälte mich mit Selbstzweifeln, hasste mich selbst, weil ich das Glück einfach nicht so empfinden konnte wie man das von mir erwartete.
Wie ich das von mir erwartete!
Manchmal klappte es ein bisschen. Aber nie so richtig. Nie so nachhaltig.
Nie so wie bei den anderen, den souveränen Mütter. Bei denen, die diese Geburtskarten verschicken, meist mit einem wunderhübschen Foto vom Neugeborenen oder gleich von der gesamten Familie bedruckt, auf denen steht, dass das Leben jetzt viel schöner ist als vorher, während meins scheinbar immer schlimmer wurde.

Gott sei Dank hatte ich eine Familie, die da war und mich unterstützte!

Trotzdem war es jedes Mal eine persönliche Niederlage, wenn ich meinen Sohn mal wieder tränenüberströmt zu meiner Schwiegermutter oder meiner Mama brachte.
Ich wollte es doch so gerne hinkriegen. Es perfekt machen.

So sehr ich mich bemühte, es funktionierte nicht.

Mein Leben bestand nur noch aus Überforderung und explodierenden Monster-Brüsten, die ich versuchte mithilfe tiefgefrorener Erbsen zum Schrumpfen zu bringen, weil mein Sohn viel weniger trank als die Dinger hergaben.

Er hatte Probleme mit dem Stillen, aber ich hatte Probleme damit, das Stillen sein zu lassen, weil mir meine Hebamme erzählt hatte, dass Mütter, die nicht stillen, keine Bindung zum Kind bekämen.
Heiliger Himmel.

Keine Bindung zu meinem Kind – das wäre mein Untergang.
Dem musste ich entgegenwirken, also stillte ich stündlich, was das Zeug hielt, obwohl ich völlig ohne Kraft war.
Dass Matheo darüberhinaus nicht satt wurde, ignorierte ich geflissentlich.
Dass ich selbst nur noch Haut und Knochen war – ignoriert.
Dass ich dieses Stillen nur als lästig und schmerzhaft empfand – egal.
„Keine Bindung zum Kind.“
Dieser Satz schwebte wie ein Damokles-Schwert über mir und so hielt ich fest am Projekt.
Sechs schreckliche Wochen lang.

Ich ärgere mich, dass ich damals so doof war und nicht auf meine innere Stimme gehört habe. Ich hätte uns allen viel Stress erspart. Die Flaschennahrung brachte jetzt nicht den Mega-Hyper-Durchbruch, aber es veränderte doch etwas.  Es machte mich entbehrlicher, es machte mich ein winziges Stück freier.

Die Schuldgefühle blieben zwar, doch ich lernte mehr und mehr sie auszuhalten. Irgendwie.
Und ich lernte nach und nach, dass ich meinen ganz eigenen Weg finden musste.
Egal, was alle anderes sagen.

„Nicht erkannte Postnatale Depression“ lautete eines Tages die Diagnose einer Ärztin, bei der ich eigentlich wegen meiner unerträglichen Rückenschmerzen war.
Ein Jahr nach Matheo´s Geburt war ich körperlich ein Wrack geworden.
Der wenige Schlaf, das viele Tragen – klar das strengt an, das war nichts Neues.
Ich wollte daher eigentlich nur ein Rezept für ein Schmerzmittel und evtl. ein paar Stunden Krankengymnastik.

Die vier Wörter trafen mich wie der Schlag.

Natürlich hatte ich davon schon gehört, aber das passierte doch nur Frauen, die eine schreckliche Schwangerschaft hatten oder eine Trennung hinter sich oder ohnehin immer depressiv waren.
Doch nicht mir!

Ich liebe Kinder. Wollte immer welche haben, ursprünglich mal am liebsten drei!
Ich habe selbst drei jüngere Brüder, kenne mich mit Babysitten bestens aus.
Mache das schon seit ich zehn bin.
Warum zum Teufel sollte ein Wunschkind bei mir Depressionen auslösen???

Dazu gibt es nur zu sagen, dass es JEDE Mutter treffen kann.
Arm oder reich, prominent oder unbekannt, jung oder alt, Wunschkind oder nicht.
Es gibt nicht DIE Antwort, aber es gibt so gut wie immer eine Lösung!

Wichtig ist nur, dass man sich Hilfe holt, dass man darüber spricht und zu seinem Problem steht.
Es ist keine Schande, wenn man nicht der Norm entspricht. Im Gegenteil.

Zu meinem Kind habe ich übrigens eine ganz wunderbare, vertrauenswürdige und liebevolle Bindung.
Obwohl ich nur sechs Wochen gestillt habe und eine Weile gebraucht habe, mich in meiner Mutterrolle zurecht zu finden.

Dafür platze ich heute vor Mutterglück!

Es hat mich zahlreiche Gespräche gekostet, viel Mut und Kraft. Doch es hat sich gelohnt.
Ich musste lernen, Hilfe anzunehmen, ohne mich deswegen schlecht zu fühlen.
Musste lernen, dass nicht alles seinen geraden Weg geht, nur weil ich mir das so gewünscht habe.

Jede einzelne Frau, die sich aktiv Hilfe sucht, wenn sie merkt, dass etwas nicht mit ihr stimmt, die sich traut anderen davon zu erzählen – egal ob prominent oder nicht – ist ein Schritt in die richtige Richtung.

 

Falls jemand das Gefühl hat, evenuell betroffen zu sein, hier geht´s zum Selbsttest.

 

  1. Avatar
    • Ulrike
    • 2. Dezember 2015
    Antworten

    Liebe Meike, Du hast absolut Recht! Niemand sagt Dir, dass Dein Leben NIE mehr so wird, wie es war. Und vor allem: es gibt kein Zurück. Das erschreckt manchmal und besonders dann, wenn es mal eben nicht viel schöner ist als zuvor. Leider wird grundsätzlich suggeriert, dass Kinderkriegen neben Karriere, guter Figur und Jet-Set-Leben einfach dazugehören. Dass eine gute Betreuung Zeit und Energie erfordern, die man gerne gibt, die aber anderswo fehlt, wurde mir erst viel später bewusst. Die gute Nachricht ist: wir sind doch flexibler als wir denken und lernen früher oder später, die neue Situation anzunehmen und zu schätzen! Allen, die noch „im Prozess“ befindlich sind, alles Gute! Dir weiterhin viel Erfolg und Respekt vor so viel Offenheit!

  2. Avatar
    • Steffi
    • 19. Dezember 2015
    Antworten

    Liebe Meike, es ist erstaunlich wie offen plötzlich Menschen mit diesem Thema umgehen… also Danke für die Ehrlichkeit 🙂 ich selber habe eine 10monatige alte tolle, gesunde, hübsche Tochter und komme aus diesem Loch trotz Arzt nicht raus :, ( sie ist das was ich mir im leben immer gewünscht habe, und dennoch fühle mich so leer.. da ich immer mehr erfahre das es Menschen nach einiger Zeit besser geht, habe ich die Hoffnung das vielleicht irgendwann mal wieder was zu spüren. Alles liebe und danke. LG Steffi

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